Stell dir vor, dein Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie ist bald kein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern eine Maschine. Diese Maschine analysiert und optimiert deine Gesichtszüge und Körperproportionen bis ins kleinste Detail. Science-Fiction? Mitnichten! Künstliche Intelligenz (KI) hat seit dem Hype um openAI zahlreiche Lebensbereiche revolutioniert. Jetzt dringt KI immer tiefer in die Welt der Schönheitsbranche ein und stellt traditionelle Schönheitskonzepte und Operationstechniken auf den Kopf.
„Schönheit liegt im Auge des Betrachters“. Und was symmetrisch ist, empfindet unser Auge als „schön“ und „attraktiv“. Könnte es sein, dass Algorithmen Körper-Asymmetrien genauer erkennen und präziser korrigieren, als ein erfahrener Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie?
In diesem Artikel stellen wir uns die Frage: Wie kann KI in der ästhetischen Branche eingesetzt werden? Zudem setzen wir uns mit der ethischen und gesellschaftlichen Frage auseinander: Wer definiert eigentlich, was „perfekt“ und „schön“ ist und was macht das mit unserem Selbstbewusstsein?
Veränderte Schönheitsideale durch KI und „Snapchat-Dysmorphie“
„Früher war alles besser.“ Klassischer Satz, wenn man an die eigene Teenager-Zeit zurückdenkt. Die biologischen Herausforderungen der Pubertät sind gleich geblieben, doch die psycho-sozialen haben sich verändert.
Meine Pubertät spielte sich Ende der 1990er, Anfang der 2000er ab. Also noch vor dem Internet-Boom, vor MySpace und Facebook. Das bedeutete, dass meine Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Frauen auf TV, Zeitschriften und Schulkameradinnen beschränkt waren.

Heute sieht das anders aus. Mit Social Media hat sich der Kreis massiv erweitert. Wir können uns nun mit der ganzen Welt vergleichen und bekommen, durch Algorithmen, nur noch schöne Menschen in angezeigt. Unterstützt durch Influencer und Filter hat sich dabei ein besorgniserregendes Phänomen entwickelt: die sogenannte „Snapchat-Dysmorphie“. Bei einer „Snapchat-Dysmorphie“ entwickeln Menschen aufgrund von Filtern und Bildbearbeitungsprogramme unrealistische Schönheitsideale und ein verzerrtes Selbstbild. Dabei streben Menschen danach, ihr Aussehen chirurgisch an die durch Filter verzerrten Selbstbilder anzupassen.
Neueste Studien zeigen eine klare Verbindung zwischen der Nutzung sozialer Medien, Foto-Bearbeitungsanwendungen und dem Wunsch nach kosmetischen Eingriffen. Forscher der Boston University fanden heraus, dass die Zeit, die man auf sozialen Medien verbringt, direkt mit dem Wunsch nach ästhetischen Eingriffen korreliert. Ein Trend, der mich nachdenklich und zugleich ängstlich macht…
Einfluss von KI auf die Plastische und Ästhetische Chirurgie.
Die Medizin entwickelt sich stetig weiter. Mit ihr auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Noch steckt KI in der plastischen Chirurgie in den Kinderschuhen und wird vorerst in Universitätskliniken erprobt. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie auch in der breiten Praxis ankommt.
Schon jetzt ermöglicht KI die Erstellung detaillierter 3D-Modelle von Patienten. Diese dienen als Grundlage für präzisere OP-Planungen und realistische Simulationen möglicher Ergebnisse. So können sich Patientinnen und Patienten beispielsweise vor einer Nasenkorrektur verschiedene Optionen ansehen. Wie ich finde, eine Entscheidungshilfe, die nicht nur Ängste nimmt, sondern auch langfristig zu zufriedeneren Ergebnissen führen kann.
Dass die Technik enormes Potenzial hat, zeigt auch die Abteilung für Handchirurgie, Plastische Chirurgie und Ästhetische Chirurgie am Klinikum der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Dort kommt bereits eine innovative 3D-Oberflächenerfassung zum Einsatz, die eine nahezu vollständige Erfassung der Körperoberfläche ermöglicht. Ein Meilenstein für die OP-Planung und die Verlaufskontrolle nach dem Eingriff.
Ein bemerkenswertes Beispiel für den Einsatz von KI in der Chirurgie ist das Unternehmen Caresyntax. Gegründet im Jahr 2013, hat Caresyntax es sich zum Ziel gesetzt, Operationen durch digitale Simulationen vorab zu optimieren. Diese Technologie ermöglicht es Chirurgen, Eingriffe präziser zu planen und durchzuführen. Das erhöht die Effizienz und Genauigkeit der OP. Während Caresyntax hauptsächlich in Bereichen wie der Robotik, Orthopädie und minimalinvasiven Chirurgie tätig ist, zeigt es das Potenzial von KI in der chirurgischen Praxis auf.
Ein weiteres Beispiel dafür, wie KI die Medizin verändert, ist Valentina Busik. Die angehende Dermatologin arbeitet als Assistenzärztin im Hautkrebszentrum der Universität Gießen und hat sich nebenbei als „Miss Germany“ einen Namen gemacht. Ursprünglich aus Kasachstan stammend, nutzt Busik Künstliche Intelligenz, um eine Brücke zwischen Medizin und Menschlichkeit zu schlagen.
Ihr Ziel: Diagnosen und Behandlungen mithilfe von KI nicht nur verständlicher zu machen, sondern sie auch in verschiedenen Sprachen zugänglich zu erklären. So will sie die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorantreiben und gleichzeitig Missverständnisse zwischen Arzt und Patient reduzieren. Ein Schritt, der die medizinische Versorgung für viele Menschen erheblich erleichtern könnte.
Marktentwicklung und Zukunftsaussichten von KI in der Schönheitschirurgie.
Der Markt für Künstliche Intelligenz in der plastischen Chirurgie wächst stetig. Experten prognostizieren, dass KI-gestützte Verfahren in Zukunft zum medizinischen Standard werden könnten. Das mit weitreichenden Auswirkungen auf die Patientenversorgung und die gesamte Branche.
Neben einer verbesserten Behandlungsqualität eröffnet diese Entwicklung auch neue Geschäftsmodelle im Gesundheitssektor und in der Ästhetik-Branche. Denkbar sind etwa KI-gestützte Beratungsplattformen, die personalisierte Simulationen ästhetischer Eingriffe anbieten und so Patientinnen und Patienten eine realistischere Erwartungshaltung an ihr Ergebnis vermitteln. Ein Beispiel hierfür ist Crisalix, ein Unternehmen, das eine 3D-Virtual-Reality-Plattform entwickelt hat, mit der Patienten verschiedene kosmetische Verbesserungen vorab testen können. Auch Modiface nutzt KI, um fotorealistische Simulationen von Gesichts- und Hautbehandlungen zu ermöglichen und das sogar zugänglich über mobile Apps oder Webbrowser.

Ein weiteres potenzielles Geschäftsmodell liegt in der Entwicklung von KI-gestützten OP-Robotern, die Chirurgen assistieren oder bestimmte Eingriffe mit minimalem menschlichen Eingriff durchführen. Unternehmen wie AiTreat gehen noch einen Schritt weiter: Ihr Roboter „Emma“ bietet KI-gesteuerte Massagetherapie für Patienten nach Fettabsaugungen oder anderen körperformenden Eingriffen und passt Druck sowie Geschwindigkeit individuell an den Heilungsfortschritt an.
Auch datenbasierte Analyseplattformen könnten die Branche verändern. Lumenis setzt bereits auf KI, um Laser- und lichtbasierte Behandlungen für Hautverjüngung und Narbenentfernung zu optimieren. Zudem gibt es Plattformen wie RealSelf, die Patienten mit verifizierten plastischen Chirurgen verbinden und ihnen unvoreingenommene Bewertungen sowie Preisvergleiche verschiedener Verfahren bieten.
Nicht zuletzt bietet der Bereich der Telemedizin neue Möglichkeiten: KI-basierte Apps und digitale Assistenten könnten Patienten vorab beraten, Nachsorgeprozesse begleiten oder sogar erste Diagnosen stellen. Das rund um die Uhr und ortsunabhängig.
Die Integration von KI in die Plastische und Ästhetische Chirurgie ist also weit mehr als ein technischer Fortschritt. Sie könnte die Art und Weise, wie medizinische Leistungen angeboten und umgesetzt werden, grundlegend verändern.
KI in der Schönheitschirurgie: Ethische Bedenken und Risiken.
Trotz der technologischen Fortschritte gibt es erhebliche Bedenken hinsichtlich der Zuverlässigkeit von KI-Systemen in der Medizin. Fehlerhafte Algorithmen oder verzerrte Datengrundlagen können zu ungenauen Diagnosen oder fehlerhaften Behandlungsplänen führen. Das wirft nicht nur medizinische, sondern auch rechtliche Fragen auf: Wer trägt die Verantwortung, wenn eine KI eine fehlerhafte Empfehlung gibt. Der behandelnde Arzt, der Entwickler oder das Unternehmen hinter der Technologie?
Doch die Risiken gehen über die rein technische Dimension hinaus. KI in der Schönheitschirurgie könnte ungewollt bestehende Schönheitsideale verstärken und psychologischen Druck auf Patienten erhöhen. Wenn Algorithmen zunehmend definieren, was als „ästhetisch ansprechend“ gilt, besteht die Gefahr, dass natürliche Vielfalt und individuelle Schönheit in den Hintergrund rücken. Die Möglichkeit, sich eine optimierte Version des eigenen Gesichts oder Körpers in einer Simulation anzusehen, kann einerseits helfen, realistischere Erwartungen zu setzen, andererseits aber auch unerreichbare Ideale schaffen, die das Selbstwertgefühl negativ beeinflussen, besonders bei jüngeren Menschen.
Ein weiteres Risiko ist die Normalisierung ästhetischer Eingriffe. Wenn KI-gestützte Plattformen wie RealSelf oder Zwivel Schönheitsoperationen auf Knopfdruck planbar machen, könnte sich die Wahrnehmung solcher Eingriffe von einer medizinischen Entscheidung hin zu einer Lifestyle-Optimierung verschieben. Das könnte besonders jüngere Menschen dazu verleiten, ihr Aussehen häufiger als „verbesserungsbedürftig“ zu betrachten. Das könnte Folgen für das Selbstbewusstsein und die psychische Gesundheit haben.
Auch der Datenschutz bleibt ein kritischer Punkt. KI-Modelle benötigen große Mengen an Daten, um effektiv zu funktionieren. Doch was passiert mit den hochsensiblen medizinischen Informationen, die dabei verarbeitet werden? Werden sie ausreichend geschützt, oder könnten sie für kommerzielle Zwecke genutzt werden? Insbesondere in der Schönheitschirurgie, wo Patientendaten oft auch Bildmaterial umfassen, sind Missbrauchs- und Sicherheitsrisiken nicht zu unterschätzen.
Die Einführung von KI in die plastische Chirurgie bietet also große Chancen, aber auch Herausforderungen, die weit über Technik und Medizin hinausgehen. Sie berührt grundlegende Fragen darüber, wie wir Schönheit definieren, wie wir uns selbst sehen und welchen Einfluss Technologie auf unser Selbstbild haben sollte.
Fazit: KI in der Schönheitschirurgie – Fortschritt oder neue Abhängigkeit?
Die Integration von Künstlicher Intelligenz in die Schönheitschirurgie ist zweifellos ein Meilenstein technologischer Entwicklung. Sie verspricht präzisere Eingriffe, individuellere Behandlungen und einen besseren Zugang zu medizinischen Informationen. Doch mit jedem Fortschritt kommt auch Verantwortung.
Wir stehen an einem Punkt, an dem Maschinen nicht nur Operationen optimieren, sondern auch unser Schönheitsverständnis mitformen. Wenn Algorithmen bestimmen, was als „perfekt“ gilt, riskieren wir, unser eigenes Körpergefühl zunehmend an einer KI-generierten Norm auszurichten. Ist das die Zukunft, die wir wollen? Eine Welt, in der Schönheit nicht mehr in der Vielfalt liegt, sondern in der mathematischen Perfektion eines Algorithmus?
Technologie sollte uns unterstützen, nicht diktieren, wie wir auszusehen haben. Die Herausforderung liegt darin, die Vorteile von KI in der Ästhetischen Medizin zu nutzen, ohne dabei in eine neue Abhängigkeit von digitalen Schönheitsstandards zu geraten. Am Ende bleibt die wichtigste Frage: Wollen wir unser Spiegelbild einem Algorithmus überlassen, oder der Einzigartigkeit, die uns menschlich macht?